Innovationen der Medizin

Wettlauf der Forschung

Von Tobias Lemser · 2024

Weltweit überschlagen sich geradezu die Meldungen über Innovationen in der Medizin. Der medizinische Fortschritt ist in vollem Gange – ein Glücksfall für die Menschheit. Auch was den Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) betrifft? Bei der Diagnose und Therapie vieler Erkrankungen in jedem Fall, wie zahlreiche Beispiele aus der Forschung unter Beweis stellen.

Bild: iStock/Chinnapong

Wo stünde die Menschheit ohne medizinischen Fortschritt? Ob Medikamente freisetzende Stents, die unsere Gefäße freihalten, oder Operationsroboter, die minimalinvasive Eingriffe bei Tumoren an der Prostata oder am Enddarm ermöglichen: Die Liste unverzichtbarer Erfindungen und Weiterentwicklungen ist unendlich lang, und die Auswirkungen sind allgegenwärtig. Denn dank innovativer Medikamente, Medizintechnik und OP-Techniken können viele Herz-Kreislauf- und Krebserkrankungen – mit 358.000 und 231.000 Sterbefällen häufigste Todesursachen – inzwischen nicht nur leichter, sondern vor allem früher erkannt werden.

Sterbezahl geht weiter zurück

Und nicht nur das: Was einst als schwer oder unheilbar galt, ist heute bereits kurierbar – Errungenschaften, die sukzessive zu einer deutlich höheren Lebenserwartung und -qualität beitragen. Beispiel koronare Herzerkrankung (KHK): Laut Zahlen des aktuellen Deutschen Herzberichts starben im Jahr 2021 rund 121.000 Menschen an den Folgen der KHK. „Damit ist die KHK-Sterblichkeit gegenüber dem Vorjahr leicht gesunken. Dieser Trend setzt sich, ähnlich wie bei der Herzinsuffizienz, seit 2011 fort“, berichtet Prof. Dr. med. Thomas Voigtländer, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Herzstiftung. In erster Linie ist dieser Rückgang auf Verbesserungen der präventiven, rehabilitativen und therapeutischen Maßnahmen zurückzuführen. Ähnlich positiv die Entwicklung beim Herzinfarkt: Zwischen 2011 und 2021 sank die Mortalitätsrate bei Frauen um rund 34 Prozent, bei Männern um rund 26 Prozent – ermutigende Ergebnisse, die nicht zuletzt auch auf akribische und ausdauernde Forschungsarbeit zurückzuführen sind. Denn je mehr wir etwas über eine Erkrankung wissen, desto früher können wir präventiv gegensteuern.

Innovationen der Medizin: Herzschwäche bald am Auge ablesbar?

Apropos Prävention. Eine Frage, die derzeit Forscherinnen und Forscher im Herzzentrum Brandenburg in Bernau beschäftigt: Lässt sich der Verlauf einer Herzinsuffizienz anhand der Pupillengröße und der Reaktion der Pupille auf einen Lichtreiz vorhersagen? „Wenn wir mithilfe der Pupillometrie die Wahrscheinlichkeit für einen schweren Krankheitsverlauf abschätzen könnten, würde man diese Patienten engmaschiger überwachen und auf eine erneute Entgleisung der Herzinsuffizienz rechtzeitiger reagieren können“, erklärt Studienleiterin Dr. Tanja Kücken. Doch was haben die Augen mit dem Herz zu tun? Die Vermutung: Da das autonome Nervensystem auch die Reaktion der Pupillen steuert, könnten möglicherweise nahende schwerwiegende Folgen am Herz an den Pupillen abzulesen sein. Erste Hinweise dafür lieferten japanische Wissenschaftler. Wird das Bernauer Herzspezialistenteam in einer Studie entscheidende Pupillenwerte finden, ließe sich durch die Studie die Augenmessung als einfache, schnelle und kostengünstige Methode in Kliniken und Praxen etablieren. Was bedeutet, dass man das Risiko für Herzinsuffizienz-Betroffene adäquater einschätzen und ihr Leben besser schützen könnte. Unterstützt wird das Projekt von der Deutschen Herzstiftung, die rund 68.000 Euro investiert.

Krebsforschung braucht KI

Forschungsgelder sind ebenso Grundvoraussetzung, um die so komplexen Krebserkrankungen besser verstehen und heilen zu können. Und die Chancen dafür verbessern sich weiter – für viele Schwererkrankte verständlicherweise zu langsam, aber dafür immerhin kontinuierlich. Äußerst verheißungsvoll klingen viele Studien und Forschungsansätze insbesondere im Zusammenhang mit Künstlicher Intelligenz. Größter Vorteil dieser Schlüsseltechnologie: In kürzester Zeit ist sie in der Lage, Daten zu kombinieren und zu analysieren. Voraussetzung dafür sind jedoch immense Datenmengen – die Grundlage dafür, dass KI-Systeme sukzessive lernen können. Für viele Anwendungsbereiche verspricht sie großes Potenzial: in der Medikamentenentwicklung, im Prozessmanagement in Krankenhäusern und Arztpraxen, aber eben auch in der Onkologie – sei es in Verbindung mit modernen Ultraschallgeräten in der Brustkrebsdiagnostik, bei der Analyse von Polypen als Vorstufe von Darmkrebs oder etwa bei der Biopsie von Krebszellen. So wie Fachleute für Onkologie, die im Laufe der Jahre gelernt haben, bestimmte Tumoren im CT-Bild zu erkennen, lernt auch die KI, Krebserkrankungen richtig einzuordnen. Jedoch anders als ein Mensch: Sie wird nie müde, hat nie einen schlechten Tag oder lässt sich nie von anderen Befunden irritieren – Argumente, die klar für den Einsatz von KI sprechen.

KI und psychische Erkrankungen

Selbst in der Neurologie könnte sie zum neuen Star werden, wie die Private Hochschule Göttingen in Kooperation mit der Hochschule Reutlingen in einem Forschungsprojekt zeigt. Dazu Prof. Dr. Youssef Shiban, Professor für Klinische Psychologie: „Die ersten Ergebnisse deuten da­rauf hin, dass eine KI fähig ist, das Vorliegen einer depressiven Episode zu erkennen.“ Bestätigen sich im weiteren Verlauf die Ergebnisse, könnte dies wegweisend für die präzisere und schnellere Diagnostik von Depressionen sein. „Die Künstliche Intelligenz könnte uns ein guter Helfer sein, damit psychisch Erkrankte nicht mehr monatelang auf die richtige Diagnose warten müssen“, so Shiban und fügt hinzu, dass perspektivisch neue, KI-basierte Anwendungen auch Betroffenen leichter zugänglich gemacht werden und erste Einschätzungen liefern.

Fest steht jedoch auch: KI ersetzt keine Ärztin, keinen Arzt. Den größten Nutzen sehen Fachleute vor allem im Zusammenspiel zwischen Menschen und KI – was sich zweifellos auf alle medizinischen Disziplinen übertragen lässt. Denn insbesondere beim individuellen Abwägen und Einordnen ins große Ganze zeigt sich, dass der Mensch – trotz weiterer notwendiger Forschung – technologischen Anwendungen weiterhin einiges voraushat.

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